19 November 2006

Also doch keine Ellenbogen-Gesellschaft ... Reisebericht einer Beschenkten

Es gibt keine Rücksichtnahme mehr!?
Jeder denkt nur noch an sich!?
Eine Gesellschaft von Egoisten!?

Mal ganz ehrlich, denken Sie nicht auch manchmal so?
Mittelspurfahrer, Zweite-Reihe-Parker, hetzende Leute, die keinen Blick für die Nöte der Menschen um sie herum haben. Ja, ja, das ist ein Zeichen unserer Zeit

A b e r ...

Nach einem Seminar zum Thema Archivierungsstrategien mit Windows und Office sollte mich gestern der ICE 512 um 17:35 Uhr von München-Pasing aus heim fahren.
Bin ich auch selten von der Deutschen Bundesbahn "versetzt" worden, so war es jetzt doch so weit. Erst 10 - zum Schluß 45 Minuten dauerte es, bis der Zug nach technischem Defekt einrollte.
Allerdings nur als halber Zug!

Glück im Unglück: Der Zugteil, in dem ich meine Platz reserviert hatte, kam brav angerollt.
Pech: Er fuhr bis zur ordentlichen Zugspitze durch und die Service-Durchsage hatte dies dezent verschwiegen. So standen wir "Profi-Zugreisende" ordentlich dort, wo unser Wagen hätte halten müssen und spurteten nun los, um noch möglichst weit nach vorne zu kommen ehe er losfährt.
Statt in Wagen 31 sprang ich dann in den 36er, direkt hinter dem Restaurant-Wagen.

Wie erwartet, waren alle Reisenden des gesamten Zuges in dem "halben" Zug und an ein Durchkommen war - selbst ohne Koffer - nicht zu denken.
So stand ich dann 2 Stunden lang mit meinen Fachzeitschriften zwische Toilettentür und "Ausstieg in Fahrtrichtung links". Den Po hatte ich halb auf meinem Koffer (manchmal ist es gut, dass man wegen der vielen Seminar-Materialien den großen nehmen muß, selbst wenn es nur ein 2-Tages-Aufenthalt ist). Den Rücken an der Zugwand. Gelegentlich griff ich strauchelnden Reisenden unter den Arm; manchmal mußte ich selbst nach der Haltestange greifen, weil wir stark schwankend über eine Weiche fuhren.

Nach 2 Stunden - meinen Füßen, Beinen und mir selbst ging es eigentlich recht gut - stand eine nette Dame - ca. 50 Jahre, bekleidet mit einem angenehm Grünen Pullover - vor mir (Sie möge es mir verzeihen, das Alter von Menschen habe ich noch nie gut schätzen können) und bot mir ihren Sitzplatz für eine halbe Stunde an, damit ich mich mal erholen könnte. Erst wollte ich mich zieren - andere sind sicherlich bedürftiger - aber nach einem Blick auf die um mich am Boden sitzenden Mitreisenden - nahm ich dankbar an. Ich finde, ein solches großzügiges Angebot darf nicht enttäuscht werden.

Es war ein Genuß gemütlich im Speiseraum zu sitzen, einen Schluck Tee aus der mitgebrachten Teekanne zu trinken und die Füße zu erholen. Brav ging ich nach einer halben Stunde zurück und verzichtet jetzt aber auf das Angebot, die Sitzzeit noch etwas zu verlängern. Schließlich bin ich als Trainerin im IT-Bereich das lange Stehen und Gehen gewöhnt und hatte bequeme Schuhe an.

Glauben Sie jetzt nur nicht damit wäre der Wohltaten ein Ende gewesen:
Nach einer halben Stunde kam das Reise-vis-á-vis meiner "Wohltäterin" zu mir und wies mich darauf hin, dass neben ihnen ein Platz freigeworden wäre. Meine Dame in "Grün" hatte den Platz sofort mit ihrer Handtasche für mich belegt.

Genau - so etwas kann in Deutschland wirklich noch passieren.

Ich habe auf meinen Reisen wirklich schon einiges gelernt. Nun werde ich zukünftig auch in vollen Zügen einen Blick auf die Leute in den Bereichen zwischen den Wagons haben und Bedürftigen meinen Platz anbieten, egal ob Dame oder Herr.

Ein bischen mehr Umsicht und Rücksicht aufeinander nehmen. Sich in die Situation des anderen hineinversetzen und helfen, wo man kann - das ist er doch - der Pfadfinder-Gedanke: Täglich eine gute Tat.

Na dann, auf zur nächsten Zugfahrt.

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